Ist es eine Pandemie, eine Gesundheitskrise, eine Wirtschaftskrise oder eine Sinnkrise, in der sich unsere Gesellschaft gerade befindet? Bereits vor CoVid haben sich einige wichtige Zukunftsfragen aufgedrängt, und bereits seit dem Bericht des Club of Rome aus dem Jahr 1972 ist klar, dass sich die menschliche Gesellschaft in ihrer Definition von Wachstum neu orientieren muss.
Hat sie dies bisher wirklich ernsthaft getan?
Es gibt mittlerweile viele Technologien, Produkte und Möglichkeiten, das Klima und den Planeten besser zu schützen, und es gibt viele Menschen, die ihr Leben und ihre Arbeit bereits diesen Themen mit Hingabe widmen. Dennoch haben viele Industriestaaten alte Produktionsanlagen zwar vom Netz genommen, doch anstatt sie zu verschrotten, wurden sie einfach in Länder mit niedrigeren Umweltauflagen verkauft und produzieren dort unverändert weiter. Es gibt zu viele dieser Beispiele und so kommt der Verdacht auf, dass die reicheren Industrienationen ihre Umweltverschmutzung und ihren Umweltverschleiß einfach in ärmere Länder exportiert haben. Genauso, wie viele von ihnen es bis heute mit ihrem Sondermüll oder anderen Abfällen tun.
Viele Nachhaltigkeitsdebatten sind mittlerweile in diesen Industrieländern abgelaufen und auch einige Aktionen und Sanktionen sind erfolgt. Erneuerbare Energien, Elektromobilität und viele weitere Schlagwörter werden hier gerne als Beispiele für Verbesserungen im Bereich der Nachhaltigkeit genannt.
Doch halt, vielleicht ist genau dieser Begriff der Nachhaltigkeit bereits eine Nebelgranate, denn seine Bedeutung und Wirksamkeit sind nicht so eindeutig, wie gerne angenommen. Die mir am leichtesten fallende Erklärung ist die, dass der aus der Forstwirtschaft kommende Begriff schlicht bedeutet, dass man einem System nicht mehr entnehmen darf als vorhanden ist.
Dem gegenüber steht eine Wachstumslogik und Kraft, die schon über mehrere Generationen anhält und große Privatvermögen mit global umspannenden Netzwerken verbindet. Nimmt man hier das physikalische Grundgesetz der „Anziehung“ zur Hilfe, wird man schnell feststellen, dass großes Kapital auch automatisch selbiges anzieht. Die Pandemie hat deutlich gezeigt, dass diese privaten Großvermögen nicht nur krisenresistent sind, sondern auch noch überaus schnell wachsen. Da stellt sich die Frage: Aus welcher Substanz werden sie genährt?
Man kann es weder dem Finanzmarkt, noch der Industrie vorwerfen, dass sie ihren Erfolg an diesen Ergebnissen messen, denn die Verantwortlichen sind per Vertrag an diese Erfolgskriterien gebunden. Also scheint die Definition von Gewinn und Erfolg ein grundlegendes Problem der Vermögensverteilung zu sein?
Es gibt natürlich mittlerweile sehr gute Alternativen wie z.B. die Gemeinwohlökonomie, um die soziale, ökologische und kulturelle Wirksamkeit von Unternehmen zu betrachten.
Auch wollen immer wachere Konsumenten Tierleid, Umweltverschmutzung und andere Effekte ihres Konsums nicht mehr unterstützen, so dass sich in Deutschland der Konsum von Biolebensmitteln und fairen Produkten sehr gut entwickelt hat. An diesen inzwischen sehr einträglichen Märkten haben selbst die größten Discounter ihre Produktpaletten ausgerichtet. Doch sind Bio, Nachhaltigkeit und Fairtrade bereits ausreichende Konzepte, um uns als Gesellschaft für die postindustrielle Zeit zu rüsten? Ein kurzer und intensiver Blick in die Landwirtschaft reicht aus, um zu sehen, dass wir gesellschaftlich noch sehr weit von einer gesunden Selbstversorgung und lokalen Lebensmitteln entfernt sind. Noch schlimmer: Viele Landwirte können sich ihre harte Arbeit kaum noch leisten und mehr als 30 Prozent der Bauernhöfe Deutschlands werden keine Nachfolger finden. Wie kann es also sein, dass die Konsumenten zwar lokale, gesunde und biologische Lebensmittel möchten, die Bauern es sich aber kaum leisten können, diese zu produzieren?
Wenn man sich die Brille der Wertschöpfung aufsetzt und genau hinschaut, wie eigentlich Werte entstehen und was ihre Grundlagen sind, wird man schnell feststellen, dass die menschliche Gesellschaft sich immer noch mit Vollgas mit der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen und dem Verbrauch von Flächen und Lebensraum beschäftigt, und das, obwohl in den reicheren Gesellschaften bereits eine rückläufige Bevölkerungsentwicklung eingesetzt hat. So gelten Immobilien immer noch als sehr stabile Wertanlagen und das private Sparvermögen war noch nie so hoch wie aktuell. Es schleicht die Angst vor einem globalen Finanzcrash um die Häuser und am Horizont hängt düster das Gespenst des Klimawandels und des Verlustes an Artenvielfalt und gesunden Böden. Auch zeigen viele Industrien bereits seit einigen Jahren, dass sie nicht beliebig vergrößert werden können, sondern zerfallen wieder in kleinere Einheiten, die besser an die Märkte vor Ort angepasst werden können. Dennoch automatisiert und digitalisiert die Industrie sehr kräftig seit Jahren und es ist ein offenes Geheimnis, dass viele Berufe im produzierenden Gewerbe in den nächsten Jahren endgültig wegfallen werden. Wo und wie können die Berufe entstehen, mit denen Menschen in Zukunft ihre Existenz sichern können?
Mein Vorschlag ist radikal, denn er geht an die Wurzel der Wertschöpfung – da hin, wo Werte sein müssen, damit sie überhaupt geschöpft werden können. Ich schlage eine regenerative Ökonomie vor, die es sich zur Aufgabe macht, dem Planeten und den Menschen wieder die Lebenskraft zuzuführen, die für gesundes Wirtschaften vonnöten ist. Dafür braucht es Organisationen, die diese Werte sichtbar machen und ihren Aufbau organisieren. Bei der Gründung solcher Organisationen stolperte ich über die Trennung unseres Finanzsystems von „non Profit“ und „for Profit“. So werden gemeinnützige Organisationen zwar steuerlich bevorteilt, sollen aber keine Gewinne machen – doch genau das muss ja eine Organisation bieten, um mit anderen Möglichkeiten der Geldanlage konkurrieren zu können. Diese Lücke schließt die regenerative Genossenschaft (ReGen), da sie auch Werte in ihre Bilanz aufnehmen und darstellen kann, die noch im lebendigen Kreislauf der Natur und Gemeinschaft befindlich sind. Die ReGen kann den Wertzuwachs durch verschiedene Darstellungsformen dokumentieren und tut dies in enger Abstimmung mit ihren Mitgliedern. Da die Gelder dieser Mitglieder innerhalb der Genossenschaft auf ihren Mitgliedskonten liegen, wird auch der Zuwachs (Gewinn in Form von Dividende) noch innerhalb des Kreislaufes genutzt bis das Mitglied ihn aufbraucht oder in weitere Anteile umwandelt. So können individuelle Gewinne erzielt und ausgewiesen werden, verbleiben aber innerhalb des Wirtschaftskreislaufes der Genossenschaft, falls das Mitglied sie nicht zur persönlichen Verwendung abruft. Interessant an dieser Konstellation ist auch, dass manche Mitglieder einfach ihre Gelder in die Genossenschaft einlegen und andere Mitglieder diese Gelder für Projekte und ihre Arbeit nutzen können. Hier können neue Berufe entstehen und alte Tätigkeiten bewahrt werden, indem Werte zur dauerhaften Nutzung aufgebaut werden. Aber was sind Werte zur dauerhaften Nutzung?
Wenn neue Werte in Bilanzen dargestellt werden, braucht es Messwerte, die eine klare Aussage über die Werthaltigkeit einer Organisation, ihrer Mitglieder und aller ihr zur Verfügung stehenden Sachwerte enthalten. Nimmt man hierfür z.B. Ackerboden, dann können die Nährstoffanteile, Humusschicht und andere Parameter genutzt werden, um zu zeigen, ob der Boden an Wert gewonnen oder verloren hat. Bei Gebäuden ist dies ähnlich, hier kann man Wärmewerte, baubiologische Werte und Ausstattungen darstellen. Bei den Mitgliedern einer solchen Genossenschaft können der Gesundheits- und Zufriedenheitszustand sowie der Zusammenhalt erfasst und dokumentiert werden. Auch der Zuwachs an Kompetenzen und Handlungsmöglichkeiten stellt einen Wertzuwachs dar. So kann eine solche Genossenschaft auch Möbel oder Einrichtungsgegenstände anfertigen, wenn sie eine Holzwerkstatt hat und Mitglieder mit passendem Know-how. Dass hierbei hauptsächlich heimische Hölzer und lokale Rohstoffe zum Einsatz kommen sollen, regelt sich von selbst, wenn die Genossenschaft so viel regionale Wertschöpfung wie möglich erbringen will, denn diese ist für sie leicht verständlich, darstellbar und in ihrer Konsequenz nachvollziehbar. So werden substanzieller Wertaufbau, ethischer Umgang mit dem Geld und stabile, lokale Wertschöpfungskreisläufe mit einer Unternehmensform umsetzbar: der regenerativen Genossenschaft.
Die regenerative Genossenschaft nimmt alle Bestandteile der Regeneration als Vermögensaufbau und Wertzuwachs in ihrem Inneren auf, berücksichtigt aber, welche Mitglieder mit welchen Beiträgen an diesem Wertzuwachs beteiligt sind. Sie zeigt den Individuen ihren persönlichen Erfolg auf und lässt gleichzeitig die Möglichkeit offen, diese Gelder innerhalb der Organisation zu belassen. Der Vorteil von Bilanzwerten ist außerdem, dass diese steuerlich abgeschrieben werden können und so stille Reserven entstehen, mit denen die Anlagesicherheit und strukturelle Stabilität immer höher wird. Die Erde selbst ist hier der Ort für die Anlage der Ersparnisse, denn gute Böden, ausgebildete Handwerker oder ganzheitliche Gesundheitsbetreuer sind lebendige Wertspeicher der Gemeinschaft und bilden die Grundlage für weitere Wertschöpfung ohne Abschöpfung.
Das Versöhnliche an diesem Vorschlag ist, dass er auch innerhalb der alten Systemlogik funktioniert und so zu einer Entlastung des Veränderungsdrucks auf die Kerngesellschaft sorgt. Mit dieser Vorgehensweise braucht es keinen ökonomischen Crash, um den Weg zu einer neuen, verantwortungsvollen Ökonomie zu betreten, sondern nur Orte, an denen sie aus solchen Gemeinschaftsinitiativen entsteht, Orte, die sich miteinander vernetzen und ihr Wissen teilen. Schon wenige dieser Orte reichen aus, um die Wirkung und Funktion des Modells zu erproben, aber ihre Prinzipien und die eingesetzten Prozesse und Abläufe lassen sich ohne weiteres auf viele andere Orte und Anwendungsfelder übertragen. So ist ein dezentraler Wandel möglich, ohne in Konflikt mit den bisherigen Strukturen zu kommen oder größere Entwertungen von Privatvermögen auszulösen.